Vor einiger Zeit schrieb mich Simone in Facebook an. Sie wurde durch Zufall auf mich aufmerksam und fragte mich nun, ob ich Interesse daran hätte sie zu fotografieren. Sie wollte speziell ihre Narben, die sie sich in der Jugend zugefügt hatte, fotografisch festhalten. Simone meinte, dass sie mit diesen Foto gerne anderen Menschen zeigen möchte, dass es ok ist so wie man ist und sich für seine Narben nicht schämen brauch.
Ich überlegte nicht lange, denn als ehemalige Betroffene ist auch mir dieses Thema wichtig. Zudem erzählte mir Simone, dass sie gerade auf einem intensiven spirituellen Weg ist, was auch wiederum sehr gut zu mir passte, denn diesen Weg beschreite ich gerade auch. Ähnliche Vergangenheit, ähnliche Gegenwart, ich freute mich sehr auf unser Treffen.
So machte ich einen Termin mit ihr aus und eine Woche später kam Simone dann zu mir.
Wir verstanden uns auf Anhieb gut und natürlich wollte ich ein wenig von ihrer Geschichte hinter den Narben erfahren.
Wann entstanden sie und wie kam es dazu?
Als Simone 16 Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern nach jahrelanger unglücklicher Ehe. Simone hatte einige Zeit davor schon Probleme mit Mobbing in der Schule (erst war sie die Mobberin, dann wurde sie gemobbt) und nachdem sie dann ihren Realschulabschluss machte und danach ein halbes Jahr freihatte kamen in dieser freien Zeit sehr viele unterdrückte Gefühle hoch und sie hat angefangen all das Geschehene zu „verarbeiten“: erst einmal in dem sie durch eine schwer depressive Phase hindurchgegangen ist.
Simone fing an sich zu verkriechen, sie ging nicht mehr raus, war nur in ihrem Zimmer. Sie fing an sich selbst zu verletzen, trank dazu viel Alkohol und sufte die meiste Zeit in Suizidforen. Diese Foren machten die Depression, die sie hatte noch viel schlimmer. Selbstmordgedanken kamen auf.
Irgendwann stand Simone vor der Wahl: Entweder sie änderte schleunigst etwas oder sie brachte sich wirklich um. Denn sie wußte, das Leben welches sie gerade führte, war kein Leben.
Sie entschloss sich etwas zu tun und ging für vier Wochen in eine Klinik.
Dort lernte sie einen jungen Mann kennen und verliebte sich. Die beiden gingen eine Beziehung ein und durch diese Beziehung schaffte es Simone am Ende aus der depressiven Phase heraus.
Ich fragte Simone, wie sie und ihre Mitmenschen mit den Narben umgingen.
Sie erzählte mir, dass sie anfangs alles versteckte. Ihre Eltern wußten nichts davon, dass sie sich selbstverletzte, denn sie trug immer lange Ärmel und passte gut auf. Auch im Sportunterricht trug sie lange Ärmel und zog sich extra in der Toilette um, damit es niemand sieht.
Als Simone dann in die Klinik kam, wußten es natürlich die Eltern auch und erzählten es auch der Klassenlehrerin.
Nach der Klinik ging Simone mit ihren Narben offen um und versteckte sie nicht mehr. Doch auch nach der Klinik wurde sie von ihrer Lehrerin oder einer anderen Lehrkraft nicht darauf angesprochen.
Auch sonst sprach sie niemand darauf an.
„ Kaum jemand spricht einen an, es wird nur geglotzt“
Und hier haben wir das Problem. Der Grund warum Simone diese Fotos machen wollte und ich diesen Blogbeitrag schreiben wollte:
Selbstverletzung ist nach wie vor ein Tabuthema. Während die Gesellschaft so langsam bereit ist über Depressionen zu sprechen, sind psychische Erkrankungen mit Selbstverletzung noch absolut tabu.
Die Menschen, die das machen werden schnell verurteilt oder man sieht einfach weg, weil man damit nicht umgehen kann oder es nicht versteht.
Und gerade mit dem Wegsehen wird alles nur noch schlimmer. Die betroffenen Menschen, sehr oft Jugendliche, fühlen sich so meist noch schlechter, wertloser, einsamer…
Selbstverletzung fängt meist harmlos an mit kleinen Kratzern oder ähnlichen. Doch wenn nichts dagegen getan wird, wird es immer schlimmer. Denn Selbstverletzung ist auch eine Sucht. Und wie das bei Süchten so ist, will man immer mehr. Es werden mehr Kratzer, es werden tiefere Kratzer…aus Kratzer werden Schnitte und dann geht es irgendwann regelmäßig in die Notaufnahme zum nähen.
Simone hatte zum Glück nur einen relativ kurzen Leidensweg, es gibt andere Fälle, die sich jahrelang selbst verletzen ohne dass ihnen jemand ernsthaft hilft.
Es gibt viele Adressen, wo sich auch Angehörige Hilfe holen können.
Schaut bitte nicht weg!
Und liebe Narbenträger, versteckt euch nicht! Ihr seid mit euren Narben genauso liebenswert wie jeder andere Mensch! Die Narben erzählen eure Geschichte, sie sind ein Teil von euch und dafür solltet ihr euch nicht schämen!
Holt euch Hilfe und sprecht über das, was euch belastet. Es ist so wichtig. Ihr habt es verdient glücklich zu sein!
Hier könnt ihr Hilfe finden:
Außerdem könnt ihr euch auch jederzeit an den psychologischen Notdienst oder die Familienhilfe bei euch vor Ort wenden.
Wenn euch das Thema weiter interessiert, kann ich gerne nochmal einen Blogbeitrag dazu machen. Vielleicht auch mit meiner persönlichen Geschichte zu dem Thema. Lasst mich wissen, ob ihr gerne noch mehr dazu lesen möchtet.
Mehr Storys findet ihr in meinem Blog.